Vorsicht vor Manipulation: Online-Marktplätze wie Temu verstoßen gegen EU-Recht [Interview]

Große Online-Marktplätze wie Temu oder Shein werben mit hohen „Rabatten“, sorgen aber für Unmut bei vielen Kundinnen und Kunden. Petra Leupold, Expertin für Verbraucherrecht, erklärt im Interview, welche manipulativen Methoden Onlineshops einsetzen und worauf man beim Onlineshopping achten sollte.

Petra Leupold, VKI.
Petra Leupold, VKI. Foto: Christian Skalnik

Seit dem Frühjahr 2023 bietet der chinesische Online-Marktplatz Temu seine Dienste auch in der EU an. Und das mit großem Erfolg. Ähnlich wie die Plattformen Shein oder Wish arbeitet Temu mit „Diskont“-Preisen, um Konsumentinnen und Konsumenten auf ihre Seite beziehungsweise auf ihre App zu locken. Die Händler, bei denen man die Produkte auf Temu kauft, sitzen fast immer in China. Europäische Verbraucherschutz-Organisationen warnen jedoch vor Temu und ähnlichen Billigst-Shops. Die Online-Riesen hielten sich nicht an EU-Recht und manipulierten Kundinnen und Kunden mit unlauteren Methoden, sagen sie.

Die Juristin Petra Leupold leitet die Abteilung Klagen beim Verein für Konsumenteninformation. Im Interview erklärt sie, was genau an Temu & Co. problematisch ist und wo Käuferinnen und Käufer beim Onlineshopping besonders aufpassen sollten.

In den letzten Jahren haben Online-Marktplätze mit extrem billigen Angeboten für großes Aufsehen und auch für viele Beschwerden von Konsumentinnen und Konsumenten gesorgt. Konkret geht es etwa um Temu, Shein oder Wish. Was haben diese Plattformen gemeinsam?
Petra Leupold: Was diese Plattformen auszeichnet, ist zunächst, dass sie ihren Sitz nicht in der EU haben, sondern in sogenannten Drittstaaten, vor allem in Asien und in den USA. Zum zweiten handelt es sich durchwegs um Online-Marktplätze, die Waren von und Verträge mit Drittanbietern vermitteln, die ebenfalls außerhalb der EU sitzen – „Vertragsabschlüsse im Fernabsatz“ heißt das in der Fachsprache. Und die dritte Gemeinsamkeit ist, dass hohe Rabatte angeboten werden und diese typischerweise aggressiv beworben werden. Alle diese Aspekte machen die Plattformen aus Sicht des Verbraucherschutzes problematisch.

Was meinen Sie genau mit „aggressiver Werbung“?
Leupold: Wir sehen Marketingmethoden, die etwa mit Gamification arbeiten, also mit spielerischen Elementen wie Glücksrädern, die dann auch Kinder und Jugendliche auf die Plattformen locken. Gemeint sind vor allem manipulative Verkaufstechniken, die man auch als „dark patterns“, also „dunkle Muster“ bezeichnet. Eine dieser Techniken ist bekannt als „bait-and-switch“: Ein bestimmtes Produkt wird mit sehr hohem Preisnachlass beworben, aber wenn man dann die App öffnet, findet man dieses Produkt gar nicht oder nicht zu dem beworbenen Preis. Stattdessen stößt man auf ähnliche, aber teurere Produkte.

Eine andere problematische Technik ist das sogenannte „nagging“: Während des Bestellvorgangs poppen immer wieder Fenster auf, die die Kundin oder den Kunden auffordern, persönliche Daten wie etwa die Telefonnummer einzugeben, um den Kaufprozess fortzusetzen, obwohl diese Daten für den Vertragsabschluss nicht notwendig wären.

Außerdem werden visuelle Tricks angewandt. So wird etwa bei der Frage „Stimmen Sie der Verarbeitung Ihrer persönlichen Daten zu?“ die Antwort „Ja“ besonders hervorgehoben, während die Antwortmöglichkeit „Nein“ fast nicht erkennbar ist. So werden die Verbraucherinnen und Verbraucher kognitiv manipuliert, damit sie eher auf „Ja“ klicken.

Hinweis

Weitere Informationen zum Online-Marktplatz „Temu“ finden Sie auch hier: „TEMU Shopping App und temu.com: Problematische Angebote aus China“.

All diese Methoden sind also nicht einfach „gewiefte Verkaufsstrategien“, sondern verstoßen gegen Gesetze?
Leupold: Es kann sich hier zum ersten um Verstöße gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) handeln. Zum zweiten sind die erwähnten Techniken in der Regel nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb verboten. Und zum dritten verstoßen sie gegen den Digital Services Act (DSA), der seit 2024 in der gesamten Europäischen Union gilt. Der DSA, auf Deutsch Gesetz über digitale Dienste, hat den Schutzrahmen für Verbraucherinnen in Hinblick auf Online-Plattformen nochmal massiv angehoben.

Hat es bereits Klagen von Verbraucherschutz-Organisationen wie dem VKI gegen Plattformen wie Temu gegeben?
Leupold: Ja, wir sind im Jahr 2024 mit Abmahnungen und Verbandsklagen gegen bestimmte Vertragsklauseln und Praktiken von Temu vorgegangen. Konkret ging es etwa um fehlende Kontaktangaben von Händlern. Der Digital Services Act schreibt vor, dass auf Online-Marktplätzen die Kontakte der jeweiligen Verkäufer mit Name, Anschrift, Telefonnummer und so weiter angegeben sein müssen, damit Verbraucherinnen nachvollziehen können, wer ihr Vertragspartner ist. Bei Temu war das aber oft nicht der Fall. Temu hat hier eine Unterlassungserklärung abgegeben, also Besserung gelobt. Wir werden überwachen, ob sich Temu daran hält.

Bedeutet das, Sie würden generell vom Einkaufen auf Plattformen wie Temu abraten? Es wird ja nicht jeder Anbieter, der auf dieser Plattform verkauft, Betrugsabsichten haben.
Leupold: Der VKI sieht seine Aufgabe nicht darin, den Konsumentinnen und Konsumenten Vorgaben zu machen, wo sie einkaufen sollen und wo nicht. Wir weisen aber sehr wohl auf mögliche Probleme und Risiken hin, die auftreten können, wenn man auf Online-Marktplätzen einkauft, die ihren Sitz außerhalb der EU haben. Wir sehen hier, dass viele Beschwerden bei uns eingehen. Studien belegen außerdem, dass Produkte mitunter nicht den EU-Sicherheitsstandards entsprechen. Das heißt, es geht hier nicht nur um Fragen der Kundeninformation oder des Rücktrittsrechts, sondern auch um mögliche Sicherheits- und Gesundheitsrisiken, die etwa mit dem Kauf von Spielzeug oder Pflegeprodukten für die Kundinnen und Kunden einhergehen. Problematisch ist auch, dass minderjährige Käuferinnen und Käufer nicht ausreichend geschützt werden.

Sie haben das Rücktrittsrecht angesprochen. Gibt es ein solches auch gegenüber Nicht-EU-Verkäufern, zum Beispiel aus China?
Leupold: Ja, die EU-Verbraucherschutzrechte gelten auch gegenüber Anbietern aus Drittstaaten. Es gibt neben Rücktrittsrechten auch Ansprüche auf Gewährleistung bei mangelhaften Produkten und Produkthaftung bei gefährlichen Produkten. Aber die Durchsetzung dieser Rechte in der Praxis kann sich sehr schwierig gestalten. Dessen sollten sich die Konsumentinnen und Konsumenten bewusst sein.

Haben Sie Tipps, wie man sich als Konsumentin oder Konsument beim Onlineshopping verhalten soll – gerade wenn man den Anbieter noch nicht kennt?
Leupold: Eine gute erste Anlaufstelle ist die Watchlist Internet, wo es eine Liste unseriöser und betrügerischer Onlineshops gibt, die laufend aktualisiert wird. Im Allgemeinen empfiehlt sich: Nicht überhastet kaufen! Gerade auf Online-Marktplätzen, die mit Rabatten, Countdowns und anderen Techniken psychologischen Kaufdruck aufbauen wollen, sollte man besonders vorsichtig sein und das Angebot aufmerksam prüfen. Ein guter Anhaltspunkt können auch Bewertungen anderer Käuferinnen und Käufer sein. Sehen diese echt aus? Was stehen dort für Erfahrungen drin? Darüber hinaus empfehle ich beim Kauf aus Drittstaaten: Nicht in Vorleistung gehen, sondern den Kaufpreis erst nach Erhalt der Ware überweisen. Wenn ausschließlich Vorkasse als Zahlungsmöglichkeit angeboten wird, besser gleich gar nicht bestellen.

Tipp

Folgende Beiträge informieren Sie umfassend über einen sicheren Online-Einkauf:

Was tut der Verein für Konsumenteninformation, um gegen Betrug im Onlineshopping vorzugehen?
Leupold: Beim VKI prüfen wir zunächst sämtliche Beschwerden, die bei uns eingehen, und leiten gegebenenfalls Schritte zur Rechtsdurchsetzung ein. Ein sehr effektives Instrument der präventiven Marktkontrolle ist hier die Verbandsklage auf Unterlassung. Damit können Gesetzesverstöße – beispielsweise gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb oder den Digital Services Act – relativ rasch unterbunden werden. Der VKI führt außerdem Musterprozesse, um strittige Rechtsfragen bei einer Vielzahl von Betroffenen einer gerichtlichen Klärung zuzuführen, und kann bei Massenschäden die Ansprüche der Geschädigten durch Sammel- oder Abhilfeklagen kollektiv geltend machen. Damit können etwa Produkthaftungsansprüche durchgesetzt werden, wenn gefährliche Produkte bei einer Vielzahl Betroffener Schäden verursachen. Mit derartigen Klagen trägt der VKI im Sinne der Generalprävention insgesamt dazu bei, dass das europäische Verbraucherschutzrecht in Österreich eingehalten wird.

Tun die staatlichen Behörden genug, um gesetzeswidrige Verkaufstechniken und Betrug auf Online-Marktplätzen abzustellen?
Leupold: Wie gesagt ist die private Rechtsdurchsetzung für Verbraucherinnen oft besonders schwierig, wenn sie es mit einem Gegenüber in einem Drittstaat, beispielsweise in China, zu tun haben. Deshalb sind hier nicht nur Verbandsklagen von entscheidender Bedeutung, sondern auch die öffentliche Rechtsdurchsetzung ist wesentlich. Große Player wie Temu oder Shein gelten als sogenannte „sehr große Online-Plattformen“ im Sinne des Digital Services Act, für die spezielle Regeln gelten. Die EU-Kommission als zuständige Aufsichtsbehörde kann hier Vorgaben machen oder auch empfindliche Geldbußen anordnen. Eine europäische Antwort auf Gesetzesverstöße ist gerade bei großen Playern aus Drittstaaten in diesem Bereich sehr wichtig.

Letzte Aktualisierung: 24. Jänner 2025

Für den Inhalt verantwortlich: A-SIT Zentrum für sichere Informationstechnologie – Austria