Das Schengener Informationssystem: Europas digitales Fahndungsnetzwerk

Stefan Sturmann, Leiter des österreichischen Sirene-Büros, im Interview: Was ist das Schengener Informationssystem (SIS)? Wie hilft es Polizistinnen und Polizisten bei der Fahndung nach Personen und Sachgütern in ganz Europa?

Mann hält ein Smartphone in der Hand, über ihm schwebt eine Fingerabdruck-Grafik
  Foto: Adobe Stock

Das Schengener Informationssystem (SIS) erlaubt es Polizeidienststellen und Justizbehörden in allen Schengen-Staaten, bei länderübergreifenden Fahndungen die Daten von gesuchten Personen oder Sachgütern zu speichern und auszutauschen. Dazu ist in jedem Mitgliedstaat ein sogenanntes Sirene-Koordinationsbüro (Supplementary Information Request at the National Entry) eingerichtet.

Stefan Sturmann leitet das Sirene-Büro im Bundeskriminalamt in Wien, gewissermaßen die Drehscheibe des SIS in Österreich. Im Interview schildert Sturmann, wie das SIS als riesiges Netzwerk von Personen- und Sachdaten die Polizeiarbeit europaweit unterstützt. Er erklärt auch, auf welche Weise man als Bürgerin oder Bürger mit dem SIS in Kontakt kommt – etwa auf Reisen – und ob diese persönlichen Daten dann ebenfalls im SIS gespeichert werden.

Herr Sturmann, mit dem Begriff „Schengen“ verbindet man normalerweise die Aufhebung der Grenzkontrollen innerhalb der Europäischen Union. Aber was genau ist dann das „Schengener Informationssystem“?
Stefan Sturmann: Das Schengener Informationssystem, abgekürzt SIS, ist ein Datenbanksystem auf EU-Ebene mit 31 Mitgliedsländern, das zur Fahndung nach Personen und Sachen in diesem gesamten Raum dient. Neben den 27 EU-Staaten zählen noch die vier sogenannten assoziierten Schengen-Mitgliedsländer dazu, nämlich Island, Norwegen, die Schweiz und Liechtenstein.

Welche Daten werden denn konkret in diesem System gesammelt
Sturmann: Im SIS werden zum einen Personenfahndungen gespeichert. Das sind zum Beispiel Personen, die aufgrund eines Europäischen Haftbefehls gesucht werden, aber auch vermisste Personen oder Personen, die für ein Gerichtsverfahren gesucht werden. Und zum andern werden Sachfahndungen gespeichert, wie zum Beispiel gestohlene Fahrzeuge oder Dokumente.

Woher kommen diese Daten? Wer gibt sie ein?
Sturmann: Die Daten kommen aus den einzelnen SIS-Mitgliedstaaten. Eine Polizeistation in einem SIS-Land speichert zum Beispiel ein Kraftfahrzeug, das gestohlen wurde, mit allen verfügbaren Daten ein. Diese Daten laufen dann noch über eine Clearingstelle der Landespolizeidirektion Wien, wo eine kurze Überprüfung vorgenommen wird, bevor sie innerhalb weniger Minuten im SIS in ganz Europa verfügbar sind. Beim Europäischen Haftbefehl geben wir als Sirene-Büro nach einer Überprüfung aller Unterlagen eine eingegebene Fahndung frei, und diese ist dann ebenfalls in Echtzeit im SIS und kann von der Polizei europaweit abgefragt werden.

Hinweis

Mit dem Schengener Informationssystem können Verbrechen aufgrund der europaweiten Vernetzung von Daten schneller aufgeklärt werden. Ein anderes Projekt der vernetzten Bekämpfung von Verbrechen ist das europäische Kompetenzzentrum „Hybrid CoE“. Was diese gemeinsame Einrichtung von EU und NATO im Kampf gegen hybride Bedrohungen tut, lesen Sie im Artikel Hybrid CoE: Europas Schutzschild gegen hybride Bedrohungen.

Was ist das Sirene-Büro, und was sind seine Aufgaben?
Sturmann: Das Sirene-Büro ist die Schnittstelle des SIS in jedem Mitgliedsland. In Österreich ist das nationale Sirene-Büro im Bundeskriminalamt eingerichtet. Wir sind verantwortlich für den Informationsaustausch zwischen den Zentralstellen im Bundesministerium für Inneres und den ausländischen Dienststellen. Wir halten Kontakt mit den Partnern, den Staatsanwaltschaften, den Gerichten – und letztendlich sind wir Dienstleister für die Polizistinnen und Polizisten in Österreich.

Wie läuft das konkret ab, wenn das SIS zum Einsatz kommt? Können Sie einen typischen Fall beschreiben?
Sturmann: In der täglichen Polizeiarbeit kommt es immer wieder vor, dass Fahrzeuge als gestohlen gemeldet werden. Die Dienststelle holt dann die Daten ein für das nationale Datenverarbeitungssystem, und aus diesem heraus kann dann eine Fahndung gestartet werden. Binnen Minuten werden die Fahndungsdaten in den SIS-Zentralrechner nach Straßburg übermittelt und von dort zu allen nationalen Stellen geschickt, wo die Daten gespiegelt, also kopiert werden. Dann kann jeder Anwender in ganz Europa auf diese Daten zugreifen. Wird zum Beispiel ein Fahrzeug in Wien gestohlen, dann ist die Fahndung oft schneller im SIS, als das Fahrzeug überhaupt eine Staatsgrenze überquert hat.

Sind auch Daten von „einfachen“ Bürgerinnen und Bürgern im SIS gespeichert?
Sturmann: Als Bürgerin und Bürger kommen Sie in der Regel nur im Rahmen einer Polizeikontrolle oder bei der Einreise an einem Flughafen mit dem SIS in Kontakt. Am Flughafen aber auch nur dann, wenn Sie aus einem Drittstaat einreisen und der Passkontrolle unterliegen. Da werden regelmäßig SIS-Abfragen getätigt. Das bedeutet, dass abgefragt wird, ob Sie im System gespeichert sind, etwa als vermisste Person oder als von der Polizei gesuchte Person. Wenn das alles nicht der Fall ist – also fast immer – und Ihr Name nicht gespeichert ist, dann passiert einfach gar nichts. Sie setzen Ihre Reise fort, und Ihre Daten werden auch nicht im SIS erfasst.

Wie ist das SIS gegenüber Cyberangriffen oder Missbrauch abgesichert
Sturmann: Zunächst sind schon die Rechner des Innenministeriums durch mehrere Firewalls abgesichert. Das Sirene-Büro hat dann noch zusätzliche Vorkehrungen eingezogen. Es gibt physische Zugangskontrollen hier im Büro, aber auch eine Sicherung durch Passwörter auf mehreren Ebenen. Jede Benutzerin und jeder Benutzer braucht also mehrere Berechtigungen, um überhaupt ins SIS einsteigen zu können. Es gelten auch strenge Vorschriften, was etwa das Mitlesen am Bildschirm durch Unbefugte betrifft. Das SIS gibt es seit 1997 in Österreich, und seit damals ist mir kein einziger Fall eines Datenleaks bekannt geworden. Das SIS ist also generell ein sehr sicheres System.

Wie viele Abfragen wurden im Jahr 2023 im SIS in Österreich gemacht?
Sturmann: Im Schengener Informationssystem insgesamt gab es 2023 rund 15 Milliarden Abfragen. In Österreich selbst wurden um die 237 Millionen Abfragen durchgeführt, von denen rund 10.000 zu Treffern im Ausland geführt haben. Umgekehrt haben Abfragen aus dem SIS-Verbund zu 23.000 Treffern in Österreich geführt. Es ist also ein hocheffektives Werkzeug.

Tipp

Apropos Autos und Kriminalität: Wer heute ein Auto kauft, muss sich bewusst sein, dass es sich dabei mittlerweile um „fahrende Computer“ handelt. Fahrzeuge können deshalb auch zum Angriffsziel von Cyberkriminellen oder über gehackte Zugänge gestohlen werden. Lesen Sie mehr darüber im Artikel über IT-Sicherheitsaspekte intelligenter Fahrzeuge.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2024

Für den Inhalt verantwortlich: A-SIT Zentrum für sichere Informationstechnologie – Austria