Kampf gegen Desinformation: EU verlangt Maßnahmen von Online-Riesen
Demokratische Prozesse müssen gegen Cyberattacken und Wählermanipulation abgeschirmt werden. Die EU fordert Online-Unternehmen mit neuen Leitlinien auf, aktiv gegen Desinformation vorzugehen.
Das Jahr 2024 wird in den Medien gerne als „Superwahljahr“ bezeichnet – und das nicht nur auf österreichischer Ebene. Die EU-Bürgerinnen und EU-Bürger sind im Juni 2024 aufgefordert, das Europäische Parlament neu zu wählen. Jede Wahl, so heißt es, ist ein Fest der Demokratie. Gleichzeitig wird die Demokratie aber ausgerechnet rund um Wahltermine bedroht: durch Desinformation und Cyberattacken.
Mit der rasanten technischen Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) in den letzten Jahren können mittlerweile mit geringem Aufwand fast perfekte Bild- und Ton-Fälschungen hergestellt und in kürzester Zeit über das Internet verbreitet werden. Beispielsweise können Politikerinnen und Politikern Worte in den Mund gelegt werden, die sie so nie gesagt haben. Genau das ist beispielsweise im Parlamentswahlkampf in der Slowakei 2023 bereits passiert: Die Stimme eines Spitzenpolitikers wurde in einer Audioaufnahme manipuliert, um ihn bei der Bevölkerung zu diskreditieren. Politisch extremistische Gruppen oder auch ausländische staatliche Akteure manipulieren bereits seit Jahren genauso massiv wie konzertiert die Algorithmen von Social-Media-Diensten, um bestimmte Themen oder die eigenen Fake News künstlich „nach oben“ zu spielen.
Welche konkreten Gefahren von Artificial Intelligence (AI) ausgehen, lesen Sie im Interview „KI-basierte Cyberangriffe: Aktuelle Trends und Gefahren“.
EU-Leitlinie zur Bekämpfung von Desinformation
Rechtzeitig für die EU-Wahlen im Juni hat die Europäische Kommission im Frühjahr 2024 einen Anlauf unternommen, die Verbreitung von Desinformation und Fehlinformationen rund um Wahlen einzudämmen. Die Kommission hat Leitlinien veröffentlicht, die sich vor allem an die großen Internet-Plattformen – also Facebook, Instagram oder TikTok – und die beiden großen Suchmaschinen Google und Bing richten. Diese Leitlinien empfehlen mehrere Maßnahmen zur Eindämmung des Risikos von Desinformation, die von diesen großen Online-Unternehmen vor, während und nach demokratischen Wahlen umgesetzt werden sollen.
Die Leitlinien begleiten das Gesetz über digitale Dienste (englisch: Digital Services Act) der EU und richten sich an genau 18 sehr große Online-Unternehmen, die namentlich gelistet sind.
Dazu zählen etwa:
Verstärkung interner Prozesse: Online-Plattformen sollen sich selbst aufmerksamer mit den lokalen Risiken der Desinformation befassen und spezielle Teams für diese Aufgabe einrichten.
Maßnahmen im Kontext von Wahlen: Online-Plattformen und Suchmaschinen sollen amtliche Informationen über Wahlprozesse bei der Ausspielung favorisieren gegenüber Inhalten, die aus rein werbetechnischen Gründen veröffentlicht werden.
Risikominderung bei generativer KI: Die großen Plattformen sollen den Risiken von generativer KI, also künstlich erzeugten Bildern und Tönen, aktiv entgegenwirken. Dazu gehört auch, dass mit KI generierte Inhalte gekennzeichnet werden müssen.
Zusammenarbeit mit Behörden sowie Expertinnen und Experten: Die großen Online-Unternehmen sollen besser mit nationalen sowie mit EU-Stellen kooperieren und sich mit diesen austauschen.
Sollten die großen Online-Unternehmen diesen Leitlinien nicht nachkommen – rechtlich gebunden sind sie nämlich nicht –, so müssen sie gegenüber der Kommission jedoch nachweisen, dass sie zwar nicht genau diese, aber zumindest andere, ähnlich wirksame Maßnahmen ergriffen haben.
Margrethe Vestager, EU-Kommissarin für Digitales und für Wettbewerb, spricht in einem Statement ganz direkt von einer „Pflicht“ der großen Online-Plattformen, deren europäischen Nutzerinnen und Nutzer angesichts der anstehenden Europawahlen „vor Risiken in den Wahlprozessen – wie Manipulation oder Desinformation – zu schützen“.
Was sind Leitlinien? Unter Leitlinien (englisch: guidelines) der Europäischen Kommission versteht man eine Auflistung von rechtlich nicht verbindlichen Maßnahmen und Verfahren, die von bestimmten Akteuren – in diesem Fall großen Online-Unternehmen – erwartet werden oder ihnen vonseiten der Europäischen Union empfohlen werden.
Nicht zu verwechseln mit dem Begriff Richtlinie (englisch: directive): Richtlinien legen verbindliche Ziele der EU fest, die von den nationalen Regierungen umgesetzt werden müssen.
- Weitere Informationen finden Sie hier: Arten von Rechtsvorschriften der EU.
Mit Medienkompetenz gegen Cyberattacken und Desinformation
Doch nicht nur die großen Internet-Unternehmen, auch die politische Ebene in der EU ist gefordert, die Demokratie im gegenwärtigen „Informationskrieg“ zu schützen. Das fordert das European Centre of Excellence for Countering Hybrid Threats in Helsinki – kurz Hybrid COE – in einer im Jahr 2023 veröffentlichten Studie. Die Expertinnen und Experten dieser Studie weisen darauf hin, dass demokratische Prozesse heutzutage nicht in erster Linie durch direkte Cyberattacken – etwa auf Wahlcomputer – gefährdet sind. Was viel mehr wiege, sei die langfristige und über Jahre wirkende Manipulation der Wählerinnen und Wähler durch gezielte Desinformationskampagnen über Onlinemedien wie auch auf Social Media.
Hybrid COE empfiehlt deshalb für die gesamte EU mehr politische Maßnahmen im Bereich der Informationssicherheit. Hier wiederum müsse ein stärkerer Fokus auf die Bildungsarbeit gelegt werden: Die europäische Bevölkerung solle auf breiter Ebene eine so hohe Medienkompetenz entwickeln, dass Wahlmanipulationen, die gleichsam direkt bei der Wählerin und beim Wähler ansetzen, keine Chance mehr haben. Kurz gesagt: Wer weiß, wie Desinformation funktioniert, fällt nicht darauf rein.
Prüfen und verbessern Sie Ihren kritischen Umgang mit Nachrichten im Netz über den Onlinetest auf der Website der-newstest.at.
Außerdem weist Hybrid COE darauf hin, dass mehrere auf das demokratische System in der EU verübte Cyberattacken ausgerechnet den Weg über Datenbanken oder E-Mail-Accounts politischer Parteien genommen haben. Also auch hier – auf Ebene der Parteien sowie der Politikerinnen und Politiker selbst – bestehe noch großer Nachholbedarf, was das Sicherheitsbewusstsein im digitalen Raum betrifft.
Wie Sie in sozialen Netzwerken fragliche Inhalte als Desinformation entlarven, lesen Sie im Beitrag „Fake News: Wie kann Desinformation in sozialen Netzwerken entlarvt werden?“.
Für den Inhalt verantwortlich: A-SIT Zentrum für sichere Informationstechnologie – Austria