Der Verein Internet Ombudsstelle im Fokus: ein Interview mit Karl Gladt

Wenn es um E-Commerce geht und sich zwei streiten, dann ist die „Internet Ombudsstelle“ die richtige Adresse. Über tägliche Aufgaben, Schlichtungsverfahren und beobachtbare Entwicklungen im Online-Shopping erzählt Projektleiter Karl Gladt.

Karl Gladt von Internet Ombudsstelle
Karl Gladt. Foto: ÖIAT

Sie haben bei einem Schnäppchen zugeschlagen und im Netz etwas bestellt. Aus der angegeben Lieferdauer von zwei Tagen wurden drei Wochen. Erhalten haben Sie jedoch Billigware von geringster Qualität, die den Fotos in der Produktbeschreibung nur entfernt ähnelt.

Falls Ihnen dieses Szenario bekannt vorkommt, haben Sie bereits negative Erfahrung mit Dropshipping gemacht. Mit solchen Problemen, die beim Onlineshopping oder bei der Nutzung digitaler Services passieren können, sowie mit Internetbetrug setzt sich der Verein Internet Ombudsstelle tagtäglich auseinander. Hier erhalten Bürgerinnen und Bürger kostenlose professionelle Beratung sowie Hilfe bei Streitfällen. Karl Gladt, Rechtsexperte und Projektleiter der Internet Ombudsstelle, erzählt im Interview, wie sich die Herausforderungen rund ums Online-Shopping im Lauf der Zeit verändert haben. 

Im Gespräch mit Karl Gladt über den Verein Internet Ombudsstelle

Was war der Anlass für die Gründung der Internet Ombudsstelle und welche Ziele verfolgt die Organisation?
Karl Gladt: Die Internet Ombudsstelle ist 1999 unter dem Namen „Internet Ombudsmann“ gegründet worden. In dieser Zeit wurde das Internet groß. Der ganze E-Commerce-Bereich breitete sich langsam aus, und praktisch jedes Unternehmen setzte seine ersten Onlineshops auf. Auf Kundenseite haben die Pionierinnen und Pioniere erstmals online eingekauft. So entstand der Gedanke, eine Stelle zu schaffen, die zu all diesen Fragen berät, und zwar gleichermaßen Konsumentinnen und Konsumenten wie auch Unternehmen. Letztere haben sich in Bezug auf Onlineshops zum Beispiel gefragt: „Was muss auf der Website stehen? Welche gesetzlichen Vorgaben muss ich einhalten?“ Von Anfang an haben wir neben der Beratungstätigkeit auch das Instrument der unparteiischen Schlichtung eingesetzt.

Was ist eine „unparteiische Schlichtung“?
Gladt: Wir bekommen eine Beschwerde über unsere Website und prüfen zunächst, ob wir zuständig sind und alle benötigten Informationen und Unterlagen vorliegen, um die Beschwerde bearbeiten zu können. Ist das der Fall, leiten wir die Beschwerde weiter an das Unternehmen und ersuchen um Stellungnahme. Das Unternehmen erklärt den Sachverhalt aus seiner Sicht oder schlägt selbst eine Lösung vor. Wir versuchen, nachdem wir beide Seiten gehört haben, das Problem zu identifizieren. Darin besteht oft die tägliche Aufgabe und Herausforderung, das Problem zu verstehen und zu benennen. Erst dann können wir den Konflikt rechtlich einordnen und die Parteien zu einer Lösung hinbewegen. Dabei versuchen wir zunächst, jeden Fall auf Grundlage der rechtlichen anwendbaren Bestimmungen zu behandeln und zu lösen. Idealerweise können wir so eine Einigung herbeiführen. Oft ist die Situation jedoch umstritten, so dass wir eben eine Kompromisslösung vorschlagen.

In der Praxis läuft das Schlichtungsverfahren also zur Gänze über E-Mail-Korrespondenz, weil wir auf rechtlicher Ebene vermitteln und es keiner psychologischen Mediation bedarf.

Mit welchen typischen Herausforderungen sind Sie in der tagtäglichen Arbeit konfrontiert?
Gladt: Dropshipping ist vorne mit dabei. Leider auch viele Formen des Internetbetrugs, allgemein gesprochen. Natürlich gibt es auch normale Onlineshopping-Probleme, bei denen es um Lieferverzögerungen geht oder eine Zustellung nicht geklappt hat. Da geht es oft um die Ausübung des Widerrufsrechts, zum Beispiel bei Kündigungen von Abos. Bei all diesen Problemen gibt es eine Bandbreite. Es gibt Unternehmen, die seriös agieren, dennoch kann es hier mal Probleme geben. Am anderen Ende des Spektrums sind betrügerische Anbieter. Dazwischen gibt es Anbieter, die vielleicht ein bisschen irreführen wollen, die aus Nachlässigkeit rechtliche Vorgaben nicht einhalten, mit einer gewissen Sorglosigkeit rechnen und nicht so informieren, wie sie informieren sollten.

Hinweis

Was ist Dropshipping? Wie Sie diese unseriöse Geschäftspraxis erkennen und vermeiden können, lesen Sie in diesem Beitrag:

Welche Arten von Beschwerden treten aktuell am häufigsten auf?
Gladt: Wir haben es seit unserer Gründung mit einem langen steten Fluss an Streitfällen zu tun. So lassen sich Veränderungen über die Jahre gut feststellen. Rückblickend sehen wir beispielsweise deutlich, dass Lieferungen aus China sehr stark zugenommen haben – einerseits dadurch, dass die Shops originär in China betrieben werden, andererseits durch die vielen Dropshipping-Anbieter. Das ist definitiv ein Trend, der sich über die letzten fünf Jahre erstreckt. Ein anderer langfristiger Trend sind Abo-Modelle, von denen es vor zehn Jahren deutlich weniger gab. Das ist mittlerweile ein gängiges und akzeptiertes Geschäftsmodell geworden, das etwa auch jungen Start-ups ein reguläres Einkommen sichert. Das Problem dabei ist, dass sich Konsumentinnen und Konsumenten oft länger mit einem Abo-Vertrag binden als sie eigentlich wollen oder den Abo-Vertrag oft nur schwer kündigen können.

Wofür werden gerne Abonnements abgeschlossen?
Gladt: Typisch für Abo-Modelle sind digitale Dienstleistungen. Das können zum Beispiel Streaming-Anbieter sein. Abo-Modelle sind auch für Warenbestellungen immer häufiger geworden. Sachen, die ich immer wieder brauche, werden dann in einem Abo-Modell angeboten. Bei einer Premium-Mitgliedschaft wird ein Abo über einen längeren Zeitraum abgeschlossen, obwohl Abos eigentlich immer monatlich kündbar sind. Da steckt ein Kundenbindungsgedanke dahinter.

Können Sie uns ein Beispiel für eine erfolgreiche Konfliktlösung Streitschlichtung erzählen?
Gladt: Es gibt viele triviale Fälle. Es gab zuletzt eine Kundin, die Vorhangstangen bestellt hat. Die haben dann nicht gepasst. Sie meinte, dass sie im Bestellvorgang nicht richtig beraten wurde. Die Situation zwischen Konsumentin und Onlinehändler war doch ein wenig aufgeladen. Da konnten wir eine Lösung vermitteln, indem wir wechselseitig die Perspektive des jeweils anderen dargestellt und darauf hingewiesen haben, welche rechtlichen Implikationen ein Beratungsfehler hätte. So konnten sie mit unserer Hilfe einen Kompromiss finden, mit dem beide zufrieden waren. Die Kundin durfte einen Teil des Einkaufs zurückgeben, aber eben nicht den gesamten.

Ein anderes typisches Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit war eine Online-Hotelbuchung, wo das Hotelzimmer nicht den Erwartungen der Kundin entsprochen hat. Wir haben vermittelt und konnten auf den Hotelbetreiber einwirken, eine gewisse Ermäßigung anzubieten, die er im direkten Kontakt mit der Kundin nicht angeboten hatte.

Hinweis

Wer Rechtshilfe bei Problemen rund um Online-Shopping benötigt, kann sich kostenlos an die erfahrenen Schlichtungsprofis des Vereins Internet Ombudsstelle wenden. Auf der Website können Sie Ihre Beschwerde online einreichen.

Wie arbeitet die Ombudsstelle mit anderen Organisationen, Behörden und Unternehmen zusammen?
Gladt: Im Prinzip vernetzen wir uns laufend mit anderen Konsumentenschutz-Einrichtungen wie etwa der Arbeiterkammer oder dem Verein für Konsumenteninformation (VKI). Genauso findet laufend ein Austausch mit Behörden statt, etwa mit dem Konsumentenschutzministerium. Im Übrigen sind wir auch Mitglied einer EU-weiten Verbraucherbehördenkooperation, bei der wir Probleme melden, die uns aufgefallen sind. So werden auch die zuständigen Behörden in den anderen EU-Mitgliedstaaten informiert.

Wie haben sich die Herausforderungen im Internet in den letzten Jahren verändert? Und wie hat sich Ombudsstelle an diese Veränderungen angepasst?
Gladt: Im Onlinehandel kam es zu einer Zersplitterung der Rollen. Früher hat man bei einem Onlineshop bestellt, und der hat die Ware an mich verschickt. Heute gibt es als dritten Akteur einen Zahlungsdienstleister. Bietet ein Onlinehändler seine Ware auf einer Plattform an, gibt es schon einen vierten Akteur. Oft ist auch ein Paketdienst als fünfter Akteur involviert. Dieser legt beispielsweise das Paket einfach vor die Tür, weil niemand zuhause ist. Wird das Paket dort beschädigt oder entwendet, beschwert sich die Konsumentin oder der Konsument beim Onlineshop. Dieser kann aber dann behaupten, dass in seinem Bereich alles ordnungsgemäß abgelaufen sei. In solchen Fällen weisen wir die Konsumentin oder den Konsumenten darauf hin, wer die rechtliche Verantwortung hat, von wem sie also eine Lösung verlangen können. Wir helfen dann auch, einen Kommunikationskanal zum Unternehmen zu etablieren.

Was sind Ihre bisherigen Erfahrungen mit chinesischen Billigstshops wie Temu?
Gladt: Temu ist seit eineinhalb Jahren am Vormarsch. Die Plattform ist sehr beliebt, weil man dort sehr günstig einkaufen kann. Die Leute nehmen dafür auch längere Lieferzeiten in Kauf, sie dulden bis zu einem gewissen Grad sogar, wenn sie einmal einfahren.

Aus Nachhaltigkeitssicht ist dieser Hype definitiv nicht zu begrüßen. Auch nicht aus Sicht der europäischen Wirtschaft. Abgesehen davon ist Temu aber einfach nur ein großer Marktplatz, der sich nicht stark von Amazon unterscheidet, außer dass er sehr viel mit Dark Patterns und Gamification agiert. Die App finde ich sehr schrill.

Hinweis

Was Dark Patterns („Dunkle Muster“) sind und wie Sie solche beim Online-Einkauf erkennen können, lesen Sie im folgenden Beitrag:

Es gibt also wegen Temu keinen signifikanten Anstieg von Beschwerden bei Ihnen?
Gladt: Wir sehen die Zahl der Beschwerden, die dem extrem hohen Marktanteil entspricht. Die Fälle sind aber alle typisch für den E-Commerce, also: „Die Bestellung kommt nicht an“, „die Rücksendung hat nicht geklappt“.

Was ist Ihre Meinung zu Rabattaktionen wie Black Friday: Fluch oder Segen?
Gladt: Prinzipiell steh ich dem Black Friday wertfrei gegenüber. Er ist einfach ein Marketingtag und soll den Umsatz ankurbeln. Man findet da sicher günstigere Angebote, soll aber nicht glauben, dass alles günstig ist. Auch am Black Friday macht es Sinn, Angebote zu vergleichen und einen kühlen Kopf zu bewahren. Im Idealfall hat man vielleicht schon vorher ein Produkt beobachtet und wartet dann, ob es am Black Friday tatsächlich ein günstigeres Angebot gibt.

Tipp

Die Internet Ombudsstelle berät auch zu datenschutzrechtlichen Fragen, Urheberrecht und bietet auch Hilfe an bei Hasskommentaren. Lesen Sie hierzu auch folgendes Interview mit Karl Gladt:

Letzte Aktualisierung: 10. Dezember 2024

Für den Inhalt verantwortlich: A-SIT Zentrum für sichere Informationstechnologie – Austria