Digitaler Nachlass: „Heute regeln, was nach unserem Ableben passiert“

Unser heutiges Leben findet zunehmend online statt. Die Spuren und Daten, die wir im Internet hinterlassen, bleiben dort aber auch nach unserem Tod gespeichert. Stefan Ebenberger, Generalsekretär der ISPA (Internet Service Providers Austria), erklärt im Interview, was eine gute digitale Vorsorge ausmacht und was Liebesbriefe mit E-Mails in einem Nachlass gemeinsam haben.

Blick in einen dichten Wald: Symbolbild für den digitalen Nachlass
Der digitale Nachlass. Foto: Adobe Stock

X/Twitter, Facebook oder Online-Banking: Die Nutzung diverser Plattformen und Services im Netz ist heute ganz alltäglich. Doch was passiert mit den Benutzer-Konten, wenn eine Person stirbt? Und wie kann man es Angehörigen schon jetzt erleichtern, sich um diese Dinge zu kümmern?

Tipps zur Vorsorge rund um den digitalen Nachlass 

Was ist ein digitaler Nachlass?
Stefan Ebenberger: Alles, was wir im Internet machen, bleibt auch nach unserem Ableben online. Das reicht von E-Mail- und Social-Media-Accounts bis hin zu Kryptowährungen und Wallets. Wir müssen also heute regeln, was nach unserem Tod damit passieren soll.

Vielen Menschen fällt die Beschäftigung mit dem Thema Tod schwer. Warum ist es wichtig, schon früh an den digitalen Nachlass zu denken?
Ebenberger: Wir tragen online wie offline viele Rechte und Pflichten. Wir schließen Kaufverträge und Abonnements ab, das führt zu Kosten. Gleichzeitig erwerben wir online Güter, zum Beispiel Filme, oder finanzielle Werte wie Krypto-Assets. Genauso wie wir das Sparbuch in der Offlinewelt auflösen müssen, müssen wir uns auch um einen digitalen Nachlass kümmern. Ein Todesfall ist außerdem ein emotionaler Stressfaktor für die Angehörigen. Sie können besser damit umgehen, wenn wir ihnen schon jetzt Arbeit und Entscheidungen abnehmen, die sie sonst nach unserem Tod treffen müssen.

Wie sieht eine gute digitale Vorsorge aus?
Ebenberger: Je klarer wir heute festlegen, wie nach unserem Ableben mit Daten umzugehen ist, desto selbstbestimmter ist die Vorsorge. Wir raten dazu, einen Passwortmanager zu nutzen, das ist eine Empfehlung, die immer gilt; zweitens, eine Nachnutzerin oder einen Nachnutzer beziehungsweise eine Vertrauensperson zu benennen; und drittens, zu bestimmen, was mit den Daten passieren soll. Unsere dringende Empfehlung ist, eine Liste zu erstellen: Welche Accounts gibt es, wie kann auf diese zugegriffen werden und wie ist damit umzugehen? Diese Liste geht mit der Verlassenschaft an die Hinterbliebenen über, damit sie den digitalen Nachlass regeln können.

Hinweis

Im Alltag ist der sichere Umgang mit Zugangskennungen oft unübersichtlich. Starke Passwörter sind für viele schwierig zu merken, schwache Passwörter stellen aber ein Sicherheitsrisiko dar. Ein Passwortmanager kann Abhilfe schaffen.

Haben Sie Tipps, wie eine Nachnutzerin, ein Nachnutzer oder eine Vertrauensperson ernannt werden kann?
Ebenberger: Eine Vertrauensperson kann auf Zugangsdaten und Passwörter zugreifen. Sie hat dadurch die Möglichkeit, die Konten im Interesse der oder des Verstorbenen zu verwalten – sie zu bearbeiten, zu löschen oder zu speichern. Im Idealfall legt man diese Person juristisch abgesichert im Testament fest. Allerdings kann man sie auch einfach privat benennen. Das ist sinnvoll, denn herauszufinden, wo sich ein Verstorbener in der digitalen Welt bewegt hat, ist oft schwierig. Wenn eine Person nominiert wurde, die Bescheid weiß, ist das eine Hilfe.

Was ist bei der erwähnten Listenerstellung zu beachten?
Ebenberger: Wir raten seit vielen Jahren dazu, eine Liste aller Accounts samt Zugangsdaten anzulegen sowie der Information, was mit ihnen geschehen soll. Das mag altmodisch erscheinen, hilft aber den Hinterbliebenen. Diese Liste ist aufzubewahren und ihnen zugänglich zu machen. Die Liste kann auf ein Blatt Papier geschrieben werden, das Teil des Testaments ist. Sie kann aber auch auf einem digitalen Speichermedium beim Notar hinterlegt werden.

Hinweis

Eine Checklist finden Sie am Ende der ISPA-Broschüre zum digitalen Nachlass.

Was darf ich mit den Daten einer oder eines Verstorbenen tun?
Ebenberger: Die Rechte der oder des Verstorbenen gehen nach Abschluss des Verlassenschaftsverfahrens mit der Einantwortung auf die Erbinnen und Erben über. Manche Plattformen bieten mittlerweile die Möglichkeit, schon zu Lebzeiten eine Vertrauensperson zu benennen, die Zugang zum jeweiligen Account erhält. Aber der juristisch einwandfreie Weg führt über die Verlassenschaft. Damit besteht die Option, mit der Sterbeurkunde an die Plattformen heranzutreten. Bei manchen Accounts geht das leichter, bei anderen ist es schwieriger. Aber wenn ich die entsprechenden Unterlagen habe und als Vertrauensperson weiß, welche Accounts genutzt wurden, ist ein digitaler Nachlass einfach zu bearbeiten.

Für viele ist es ein Trost, zu wissen, dass ein Social-Media-Account auch nach einem Todesfall fortbesteht. Welche Schritte sollten Hinterbliebene diesbezüglich setzen?
Ebenberger: Es gibt bei großen Plattformen wie Facebook oder LinkedIn die Möglichkeit, Profile unverändert beziehungsweise in einem Erinnerungsmodus bestehen zu lassen – oder sie eben zu löschen. An andere Plattformen muss man sich mit einer Sterbeurkunde wenden, um die Rechtsnachfolge geltend zu machen. Doch immer ist es notwendig zu wissen, auf welchen Plattformen die oder der Verstorbene aktiv war.

Welche Probleme können sich für Hinterbliebene ergeben?
Ebenberger: Das Internet ist global, das Erbrecht ist es nicht. Es kann zu Problemen kommen, wenn die Erbinnen und Erben sich an Plattformbetreiber in anderen Ländern wenden müssen. Das ist nicht immer einfach. Grundsätzlich gelten Rechte und Pflichten im digitalen Bereich genauso wie in der physischen Welt. Wenn es Verträge gibt, wie etwa ein Streaming-Abo, können schnell Kostenfallen entstehen.

Falls kein digitaler Nachlass besteht: Wie können solche Accounts ausfindig gemacht werden?
Ebenberger: Sollte keine Liste aller Accounts vorhanden sein, kann eine E-Mail-Adresse dabei helfen, weitere Accounts aufzuspüren und an die Betreiber heranzutreten. Mitunter ist es aber notwendig, sich juristische Unterstützung zu suchen. Und es gibt mittlerweile auch in Österreich Anbieter, die dabei behilflich sind, den digitalen Footprint einer oder eines Verstorbenen auszuforschen.

Wie erkennt man bei solchen Anbietern, ob es sich um ein seriöses Angebot handelt?
Ebenberger: Bei Agenturen, die den digitalen Footprint zurückverfolgen, ist ein gesundes Maß an Vorsicht geboten. Denn diese benötigen für ihre Arbeit sensible Dokumente, nicht zuletzt einen Namen und eine E-Mail-Adresse. Derzeit haben wir aber keine Anhaltspunkte, dass damit Schindluder betrieben wird.

Wie können Hinterbliebene sensibel mit einem digitalen Nachlass umgehen?
Ebenberger: Gewisse Rechte und Pflichten von Einzelnen gelten im Leben genauso wie nach dem Tod. Diese Rechte und Pflichten wie auch die Wünsche von Verstorbenen sind zu wahren und zu würdigen – das haben Hinterbliebene nicht nur aus moralischen, sondern auch aus rechtlichen Gründen zu tun. Im Zweifel ist es besser, juristischen Rat einzuholen, als später Probleme zu haben. Mit digitalen Daten und E-Mails ist genauso respektvoll umzugehen wie etwa mit Tagebüchern oder alten Liebesbriefen.

Hinweis

Was passiert mit digitalen Daten und Konten, wenn jemand stirbt? Ein bewusster und frühzeitiger Umgang mit dem Thema ist ratsam. Umfassende Informationen bietet die Broschüre der ISPA.

Wie kann das konkret aussehen?
Ebenberger: Die Betreiber müssen schon aus juristischen Gründen sicherstellen, dass nur berechtigte Personen Zugriff auf Konten von Verstorbenen erhalten. Dafür sind bestimmte Dokumente (Sterbeurkunde, Einantwortungsbeschluss etc.) erforderlich. Es gibt ein Grundsatzurteil in Deutschland, welches festlegt, dass Hinterbliebenen der Zugang zu einem Social-Media-Profil zu gewähren ist. Mit diesen Daten und den Zugängen ist im Interesse der oder des Verstorbenen verantwortungsvoll umzugehen. Dabei gilt bis zu einem gewissen Grad der gesunde Menschenverstand: Wenn etwas offline die Privatsphäre betrifft, gilt das auch online.

Gehen mit verwaisten Social-Media- und E-Mail-Accounts auch IT-Sicherheitsrisiken einher?
Ebenberger: Es besteht immer die Gefahr, dass Accounts gehackt werden. Meine Passwörter muss ich heute schützen, um sie vor Zugriffen morgen zu sichern. Ein gewisses Maß an IT-Sicherheit und Passwortschutz sollte man stets aufwenden, auch bei Konten von Verstorbenen.

Und wie halten Sie es mit dem digitalen Nachlass?
Ebenberger: Ich verwende einen Passwortmanager, das Passwort dafür habe ich sicher und auffindbar verwahrt. Und ich habe zumindest für einen meiner Social-Media-Accounts eine vertrauenswürdige Person benannt, dieses Feature wird auf der Plattform angeboten. Aber da gibt es auch bei mir noch Luft nach oben.

Hinweis

Ungenützte Benutzerkonten sollten regelmäßig gelöscht werden. Warum diese ein Sicherheitsrisiko sind und wie Sie beim Löschen von alten Accounts vorgehen können, lesen Sie hier

Letzte Aktualisierung: 11. April 2024

Für den Inhalt verantwortlich: A-SIT Zentrum für sichere Informationstechnologie – Austria