„Digital Detox“ durch reduzierte Bildschirmzeit: Vorteile für Safety und Security
Angriffsflächen minimieren und an die Gesundheit denken – worauf Userinnen und User, die sehr viel Zeit mit digitalen Geräten verbringen, bei ihrer Screen-Time achten sollten, lesen Sie im Interview mit Stefan Seidel.
Bei intensiver Nutzung digitaler Geräte und des Internets sollte man zwischendurch immer wieder eine Pause einlegen. Dadurch verringert sich das Risiko, Opfer von Cyberattacken zu werden. Denn wer ständig mit dem Internet verbunden ist, überbeansprucht seine Wachsamkeit gegenüber bösartigen Links und Angriffen auf persönliche Daten. Darüber hinaus kann eine Reduktion der Bildschirmzeit helfen, gesundheitliche Probleme zu vermeiden, die mit übermäßiger Bildschirmnutzung einhergehen.
Digital Detox und Screentime: ein Interview
„Künstliche Blaulichtquellen unterdrücken die natürliche Melatonin-Produktion und verschieben die Schlafphase nach hinten. Das kann zum Beispiel Einschlafprobleme auslösen oder zumindest fördern. Vereinfacht ausgedrückt ist unser Gehirn nach wie vor auf einen großen Rotlichtanteil am Abend und anschließende vollständige Dunkelheit trainiert“, schreibt Stefan Seidel, Facharzt für Neurologie und Leiter des Schlaflabors der Universitätsklinik für Neurologie an der MedUni Wien, in seinem Buch „Der Schlaf“. Im Interview erklärt der Mediziner, wie viel Screen-Time aus ärztlicher Sicht zumutbar ist, was für negative Folgen zu viel Bildschirmzeit nach sich ziehen kann und mit welchen einfachen Maßnahmen wir ihnen entgegenwirken können.
Tipp
Nützen Sie die Gelegenheit und löschen Sie unnötige Apps von Ihrem Gerät, die zu viel Screen-Time beanspruchen, aber nur einen geringen Mehrwert bieten. Weitere Ideen für den digitalen Frühjahrsputz finden Sie hier: „Digitale Neujahrsvorsätze“.
Was bedeutet „Digital Detox“ für Sie persönlich?
Stefan Seidel: Für mich bedeutet Digital Detox mehr Ruhe, mehr Alleinsein und somit mehr Möglichkeiten, auch mal das eigene System „herunterzufahren“. Es bedeutet auch weniger Blaulicht, also weniger Störung des eigenen Schlaf-Wach-Rhythmus. Das ist ganz wichtig, weil es insgesamt weniger Stress bedeutet.
Wie viel Bildschirmzeit ist aus medizinischer Sicht zumutbar?
Seidel: Zur Bildschirmzeit gibt es Empfehlungen von den Fachgesellschaften, etwa von der Kinder- und Jugendpsychiatrie: Gerade bei ganz kleinen Kindern bis zu zwei Jahren sollte man das sehr genau im Auge behalten und zum Beispiel nur gemeinsam einen kurzen Videochat mit Verwandten machen. Im Alter zwischen zwei und fünf lautet die Empfehlung ungefähr eine Stunde Bildschirmzeit pro Tag, also vereinzelte kurze Phasen, am Wochenende vielleicht etwas länger. Bei älteren Kindern sollte man dazu übergehen, sie zu anderen Tätigkeiten anzuregen, bei denen man ganz ohne Bildschirm auskommt.
Wie viel Screen-Time ist Erwachsenen zumutbar?
Seidel: Auch Erwachsene sollten auf jeden Fall versuchen, die Bildschirmzeit zu limitieren. Wobei hier die Schwierigkeit darin liegt, dass wir beruflich schon viel Zeit vor dem Bildschirm verbringen müssen. Gerade dann sollten wir aber in der Freizeit auch mal ein Bildschirmlimit von maximal zwei Stunden einstellen, um uns selbst ein bisschen zu regulieren. Das ist auch aus medizinischer Sicht sinnvoll.
Welche neurologischen Auswirkungen von zu viel Bildschirmzeit sind bekannt?
Seidel: Wissenschaftlich belegt sind Auswirkungen auf das Gehirn selbst. Das bedeutet, dass wirklich exzessiver Bildschirmkonsum mit einer Veränderung in der grauen, aber auch in der weißen Substanz des Gehirns einhergeht. Es ist eben Aufgabe der Forschung, nachzuprüfen, inwieweit sich das auf der emotionalen, kognitiven, aber auch auf der Verhaltensebene manifestiert. Zum Beispiel könnte es ein erhöhtes Demenzrisiko geben. Auch das Risiko psychiatrischer Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen könnte sich aufgrund exzessiver Bildschirmzeit im Kindes- und Jugendalter erhöhen.
Welche physischen und psychischen Auswirkungen von zu viel Bildschirmzeit können sich bei Menschen bemerkbar machen?
Seidel: Auf der physischen Ebene ist klar, dass wir einfach viel mehr sitzen und uns weniger bewegen. Das hat Auswirkungen auf unsere Muskulatur sowie unsere Knochenstruktur und führt zu Problemen wie Muskelabbau und Osteoporose. Es kommt häufiger zu Adipositas, also krankhafter Fettsucht.
Im psychischen Bereich gibt es Veränderungen im Hinblick auf die Empathiefähigkeit und die soziale Interaktionsfähigkeit. Wenn ich extrem viel Zeit vor dem Bildschirm verbringe, kann die Aufrechterhaltung von Beziehungen schwierig sein. Besonders bei interaktivem Bildschirmkonsum, also bei Videospielen, kommt es häufig zu dauerhaftem Stress. Das wirkt sich negativ auf den Schlaf aus. Eine schlechte Schlafqualität hat wiederum negative Auswirkungen auf die Befindlichkeit tagsüber.
Gibt es auch irreversible Auswirkungen, die sich nach vielen Jahren einstellen können?
Seidel: Dass sich nach Jahrzehnten Erkrankungen einstellen, die letztlich irreversibel sind, ist schon möglich – Stichwort Demenz. Die gute Nachricht ist, dass es beim Gehirn oder beim zentralen Nervensystem so etwas wie Neuroplastizität gibt. Das heißt, Sie können durch ein bestimmtes Verhalten Veränderungen provozieren, also im negativen Sinn zum Beispiel ein Schrumpfen der Hirnrinde. Das können Sie aber mit Verhaltensmaßnahmen zum Teil wieder korrigieren. Es ist also nie zu spät, sein Verhalten vor dem Bildschirm zu ändern.
Gibt es bestimmte Regeln für die Bildschirmzeit und die Nutzung digitaler Geräte, die Menschen im Alltag berücksichtigen können?
Seidel: Ein paar Regeln sind aus meiner Sicht wichtig: Gerade wenn es um Kinder und Jugendliche geht, durchaus aktiv einsteigen, also sich dafür interessieren, was das Kind, was die oder der Jugendliche konsumiert, und hier den Dialog aufrechterhalten, um das reflektieren zu können. Das Nächste ist, dass Kinder nicht mit Bildschirmen ruhiggestellt werden sollten – also kein Babysitting durch den Bildschirm.
Für Erwachsene und Kinder trifft gleichermaßen zu, dass man vor dem Schlafengehen eine Pause machen sollte. Das heißt, eine halbe oder ganze Stunde vor dem Schlafengehen den Bildschirm wirklich ausschalten und das Gerät aus der Hand legen.
Haben Sie weitere Tipps, um negative Auswirkungen von zu viel Bildschirmzeit zu reduzieren?
Seidel: Unter technischen Gesichtspunkten gibt es keine großen Unterschiede zwischen den einzelnen Bildschirmarten, weil es aus schlafmedizinischer Sicht vor allem um den Schlaf-Wach-Rhythmus geht. Am Bildschirm ist der Blaulichtanteil jenes Licht, welches den Schlaf stört. Das heißt, dass jede künstliche Lichtquelle und jeder Bildschirm in etwa gleich zu beurteilen ist. Hier könnte man sich mit Blaulichtfiltern behelfen. Diese können den Effekt des Lichts etwas abschwächen. Es ist auch wichtig zu wissen, dass Tätigkeiten, die weniger Interaktion erfordern, den Schlaf auch weniger stören. Damit meine ich, dass zum Beispiel Fernsehen, wie in Studien beobachtet wurde, den Schlaf weniger stört als Videospiele oder Videochats.
Welche technischen Hilfsmittel können bei Lichteinstellungen nützlich sein?
Seidel: Man könnte Brillen verwenden, die den blauen Anteil rausfiltern. Sie können aber auch am Mobiltelefon oder Tablet die mittlerweile standardmäßig eingebaute Nachtmodus-App nutzen. Hier gibt es eine breite Palette an Tools, die ich aus neurologischer und schlafmedizinischer Sicht durchaus empfehlen kann.
Hinweis
Insbesondere Social-Media-Apps zielen darauf ab, dass Userinnen und User möglichst viel Zeit auf der jeweiligen Plattform verbringen. Auf welche technischen Hilfsmittel Sie zurückgreifen können, um Ihre Bildschirmzeit zu regulieren, lesen Sie im Beitrag „Bildschirmzeit reduzieren: Mit diesen Tools gelingt es“.
Welche Empfehlungen haben Sie für das digitale Arbeiten im beruflichen Kontext?
Seidel: Was zum Beispiel Zoom-Meetings betrifft, gibt es Managementempfehlungen, dass man bei langen Meetings und Gesprächen immer wieder Pausen macht, auch einmal informelle Segmente einbaut, Scherze macht, über etwas plaudert, das mit der eigentlichen Agenda nichts zu tun hat. Dadurch werden wir wieder entspannter und sind am Abend weniger erschöpft.
Außerdem ist das dauernde Sich-selbst-Betrachten bei Online-Meetings ein zusätzlicher Stressfaktor, weil es für uns unnatürlich ist, beim Sprechen die eigene Mimik und Gestik beobachten und bewerten zu können. Hier könnte man zum Beispiel auf Avatare umstellen. Dazu kommt, dass man nicht dauernd in die Kamera schauen kann. Das bedeutet für die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer wiederum Stress. Denn vereinfacht gesagt ist es für uns Menschen am angenehmsten, wenn das Gegenüber uns direkt anblickt und nicht dauerhaft etwas zur Seite schaut. Kameraeinstellung und Kamerapositionierung sind also relevante Faktoren.
Am Ende müssen Userinnen und User wohl auch auf ihr Bauchgefühl beziehungsweise ihre individuellen Bedürfnisse achten?
Seidel: Genau. Auch bei digitalen Medien ist es wichtig, dass Sie auf Ihr Bauchgefühl hören und mit sich selbst in Kontakt bleiben. Wenn man bemerkt, dass man Schmerzen beim Sitzen bekommt, die Augen zu brennen beginnen oder das Gesicht schon ganz angespannt ist, dann sind das deutliche Warnsignale. Spätestens hier sollte man auf die Bremse steigen und bewusst eine kleine Pause machen. Man nennt das „Pacing“. Das ist ein Klassiker aus der Fatigue-Therapie: Zwischendurch Pausen machen und längere Tätigkeiten in kleinere Segmente verpacken.
Für den Inhalt verantwortlich: A-SIT Zentrum für sichere Informationstechnologie – Austria