Cyber-Mobbing in Zeiten der Pandemie
Das soziale Leben von Kindern und Jugendlichen findet zur Zeit völlig widernatürlich überwiegend online statt. Kein Wunder, wenn sich somit auch Konfliktsituationen im Internet verstärken.
Statt im persönlichen Kontakt primär online
Auch Kinder und Jugendliche sind von der aktuellen Situation und den damit einhergehenden Ausgangsbeschränkungen stark betroffen. Beinahe ihr gesamtes soziales Umfeld hat sich in die Online-Welt verlagert: Schulunterricht, Spieleabende mit FreundInnen, Interessensgruppen, Flirts, ... all das findet nun überwiegend digital statt.
Während man im ersten Lockdown den Eindruck gewinnen konnte, dass Cyber-Mobbing zurückgegangen ist, so hat sich das mittlerweile allem Anschein nach geändert. In WhatsApp-Gruppen, Sozialen Netzwerken oder in Online-Spielen kommt es vermehrt zu Konflikten und damit auch zu Cyber-Mobbing.
Für Lehrende werden diese Probleme meist erst dann spürbar, wenn sie auch den Online-Unterricht stören – also dann, wenn die Konflikte bereits voll im Gange sind.
Eine Zunahme von Cyber-Mobbing ist wahrscheinlich
Auch wenn es keine konkreten Zahlen zu Cyber-Mobbing in Zeiten von Homeschooling und geteilten Klassen gibt: Aus vielen Gesprächen ergibt sich der Eindruck, dass es zu einer Zunahme gekommen sein muss. Betroffen sind neben den 7. und 8. Schulstufen auch zunehmend die 5. Schulstufe und die ersten Klassen von weiterführenden Schulen. Es ist also höchste Zeit, sich der Thematik anzunehmen und auch als Lehrende einen wachsamen Blick darauf zu haben.
Aufmerksam zu sein ist gerade jetzt besonders wichtig. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Irritationen, Konflikte und auch deren Bewältigung – während und abseits des Unterrichts – großteils digital und in Sozialen Netzwerken stattfinden. Viele verbale und nonverbale Anzeichen, die im Präsenzunterricht von LehrerInnen aufgegriffen werden können, sind durch die Distanz weniger oder überhaupt nicht sichtbar. Das schränkt die Handlungsmöglichkeiten von Lehrenden massiv ein.
Das Leben der Klasse verlagert sich in die Online-Welt
Das Schuljahr 2020/21 ist für das soziale Leben der Schulklassen in der Sekundarstufe eine wahre Herausforderung. Nur wenige Wochen waren die Jugendlichen physisch im gleichen Klassenzimmer anwesend, bevor sie in den Präsenzunterricht mit wechselnden Gruppen oder überhaupt auf Online-Plattformen wechseln mussten.
Es gibt also wenig Raum für gruppendynamische Prozesse im gewohnten Sinne – weshalb auch diese sich in den Online-Raum verlagern: in WhatsApp-Gruppen, in den Online-Unterricht oder in Soziale Netzwerke und Spieleplattformen.
Auch Lehrpersonen stellt dies vor neue Herausforderungen – vor allem dann, wenn es sich um neue Klassen oder Klassen mit neuen SchülerInnen handelt. Die Klassen beim gruppendynamischen Zusammenfinden zu begleiten ist deutlich erschwert durch digitale oder "blended"-Formate (Mischung aus Digital- und Präsenzunterricht).
In vielen Klassen entstehen – ab dem Moment, wo Kinder selbst Zugang zu einem Smartphone haben – WhatsApp-Gruppen. Umso jünger die Kinder sind, desto mehr Wildwuchs entsteht hier. Denn die Kinder erleben sich als selbstwirksam, wenn die von ihnen eingerichtete WhatsApp-Gruppe mehr Aktivität hat als die der anderen. Ist hier kein korrigierendes Element wie eine aufmerksame Lehrkraft aktiv, so kann diese schonmal ausufern.
Es gibt zwar auch in den Lernplattformen Möglichkeiten miteinander zu kommunizieren, diese werden jedoch in der Regel sehr zielgerichtet und nur im Umfeld des Unterrichts genutzt.
Achtung
Wenn es keine Möglichkeit der informellen Kommunikation in der Klasse gibt, so suchen die Schüler und Schülerinnen solche in der Online-Welt. Es werden also nicht nur die Unterrichtsstunden in den Online-Raum verlagert, sondern auch die Pausen.
Erste Klassen der Sekundarstufen besonders betroffen
Wird den gruppendynamischen Prozessen im Zuge der schulischen Aktivitäten nur wenig Raum und Möglichkeiten gegeben, so passieren diese unkontrolliert und ohne viel Kenntnis der Lehrenden. Besonders bemerkbar ist dies Erzählungen zufolge in den ersten Klasse der Sekundarstufe: Die Konflikte nehmen im Laufe des Schuljahres 20/21 zu, bis sie in einigen Fällen so dramatisch werden, dass Eltern sich an die Schule wenden und Lehrende aufgefordert werden, aktiv zu werden.
In erster Linie handelt es sich dabei um Konflikte in WhatsApp-Gruppen. Es geht um Beschimpfungen, Ausgrenzung, aber auch ums Weiterverbreiten von ungeeigneten Inhalten, die beispielweise Hasspostings oder Gewalt und Pornografie beinhalten.
Derartige Vorkommnisse gibt es auch in Online-Spielen oder in Gruppen und Profilen von Sozialen Netzwerken.
Wie können Lehrende Cyber-Mobbing bemerken?
Können Lehrende ihre Schülerinnen und Schüler nicht in der Klasse – oder zumindest als eine gesamte Gruppe erleben, so fehlt mitunter das Bauchgefühl für die aktuelle Situation der Klasse. Es müssen also neue und andere Wege her, wie sich die Lehrkraft ein Bild machen kann:
- nachfragen
- zwischen den Zeilen lesen (z.B. in Aufsätzen oder in den Online-Meetings)
- aktuelle Situation miteinander reflektieren
In der Schule sind in Zeiten der Pandemie viele organisatorische Dinge zu besprechen, da bleibt oft wenig Zeit und Raum für das soziale Leben der Klasse. Lehrende müssen also direkt nachfragen, wie es den Kindern geht. Beispielweise in KV-Gruppen, im Forum oder direkt im Kommunikationskanal mit einzelnen Kindern. So kann auch miteinander die aktuelle Situation reflektiert werden. Ergänzend stellt sich die Frage, wie LehrerInnen ihre SchülerInnen unterstützen können, sich auszutauschen – in formellen und informellen Settings. Wichtig ist, dass gerade dieser Austausch mitgedacht und auch in didaktische Settings eingeplant wird. Es geht darum, dabei zu unterstützen, förderliche Beziehungen aufrechtzuerhalten oder diese (wieder)aufzubauen.
Hinweis
Eine konkrete Möglichkeit des Hinsehens auf mögliche (unbeobachtete) Eskalationen bieten auch indirekte Rückmeldungen von SchülerInnen. In den Arbeiten der SchülerInnen konnten immer schon Hinweise auf Konflikte oder Mobbing in der Klasse gefunden werden. Auch in den Zeiten der Pandemie gibt es diese Möglichkeit.
Störungen in Online-Meetings
Je länger die Situation dauert und der Unterricht online in MS Teams oder Zoom umgesetzt werden muss, desto mehr Lehrende leiden unter Störungen dieser Meetings. Diese Störungen lassen sich manchmal auf Langweile bei den Schülerinnen oder Schülern zurückführen oder deren Bedürfnis, selbstwirksam zu sein. Aber sie können auch ein Ausdruck von Störungen in der Klassengemeinschaft sein: Werden beispielweise immer bestimmte Schülerinnen oder Schüler auf stumm geschaltet oder ihnen die Möglichkeit der Beteiligung entzogen? Kann es sein, dass manche Kinder oder Jugendlichen so still sind, weil sie Angst haben, von anderen fertig gemacht zu werden? Sind manche in der Klasse bei Beiträgen bestimmter SchülerInnen besonders laut?
Was tun?
Was können nun Lehrende tun, wenn sie das Gefühl haben, hier könnte etwas nicht stimmen? Wichtig ist, aktiv zu werden, auch wenn es noch keine Meldungen von Eltern oder Kindern geben sollte. So lassen sich Situationen vielleicht schon frühzeitig entschärfen.
- Aufmerksam sein und Wahrnehmung erhöhen
beobachten und dokumentieren
zwischen den Zeilen lesen
auch online auf Einzelpersonen achten
Beteiligung der SchülerInnen beobachten und so möglichen Rückzug sehen - Ansprechen und im Lehrenden-Team absprechen
in der Klasse ansprechen und Beobachtungen teilen
einzelne Kinder direkt befragen
möglichen betroffenen Kindern ein Angebot zum Gespräch machen, auch wenn diese zunächst abwehrend reagieren könnten - Konkrete Schritte setzen
Maßnahmen zur Verbesserung des Klassenklimas ergreifen
externe Expertinnen oder Experten einladen, z.B. zu Online-Workshops an den Tagen, wo alle Kinder im Distance Learning sind.
Hinweis
Hilfreiche Beratungsstellen
Für den Inhalt verantwortlich: Österreichisches Institut für angewandte Telekommunikation (ÖIAT)